Sie vertauschen die Rollen, stellen die bestehende Ordnung auf den Kopf, widersetzen sich Anweisungen. Sie sind anarchisch und wunderbar. Sie sind urkomisch und geheimnisvoll. Sie sind wild und exquisit. Sie alle sind Louise.
In einem durchdringenden und merkwürdigen Labor ereignen sich absurde Dinge: Mit der menschlichen Materie werden die unterschiedlichsten Experimente angestellt. Vier Künstlerinnen (Bérengère Bodin, Marianna de Sanctis, Rosalba Torres Guerrero und Methinee Wongtrakoon) spielen abwechselnd Oberhaupt, Chefin, aber auch Versuchskaninchen, Patientin und Dienerin für alles an diesem Ort, an dem die Tyrannei regiert. In diesem spannenden Rollenspiel lehnen sich Körper, Geist und Seele auf und leisten Widerstand. Die Protagonistinnen verwischen Spuren, um die eigene Haut zu retten. Und dank ihrer unglaublichen Stärke, ihrer rasenden Wut, ihres schrägen Humors, ihres unglaublichen Glamours und ihrer Lebensfreude versetzen sie der Tyrannei eine grosse Ohrfeige. Mit Kreativität und voller Hingabe bieten sie dem Abgründigen die Stirn und es eröffnen sich strahlende neue Möglichkeiten.
Martin Zimmermanns neue Produktion LOUISE erzählt von Widerstand und dem Drang nach Bewegungsfreiheit. Der vielfach preisgekrönte Schweizer Choreograf entwickelt seit mehr als 25 Jahren von Zürich aus Theater ohne Worte, dessen Mischung aus zeitgenössischem Zirkus, Tanz und spektakulären Bühneninstallationen weltweit das Publikum begeistert.
«AM ENDE KANN DAS LACHEN UNS RETTEN»
Martin Zimmermann im Gespräch mit Kunst- und Kulturjournalistin Susanna Koeberle
SUSANNA KOEBERLE Erstmals haben Sie ein Theaterstück mit ausschliesslich Frauenfiguren entwickelt. Warum?
MARTIN ZIMMERMANN Das Thema Hierarchie und Widerstand mit einem Fokus auf Frauen anzugehen, bringt eine Perspektive, die weniger von den traditionellen, oft männlich geprägten Hierarchiekonzepten und Stereotypen beeinflusst ist. Dies ermöglicht uns, das Thema differenzierter und freier von Klischees zu betrachten. Zudem habe ich als Vater zwei Geburten miterlebt. Dabei ist mir nochmals bewusst geworden, welche unvorstellbaren Herausforderungen der Körper einer Frau im Laufe ihres Lebens zu bewältigen hat. Mit den vier Darstellerinnen unterschiedlichen Alters erforschten wir tabuisierte Themen wie Geburt, Tod, Sexualität und Geschlecht sowie auch weiterhin existierende Ungleichheiten.
SK «Louise», der Titel der Produktion, ist eine Hommage an die Künstlerin Louise Bourgeois. Welche Rolle spielt ihr Werk in Ihrem Schaffen?
MZ Unser Stück ist eine Art Gespräch mit ihr. Louise Bourgeois war eine ewige Forscherin: an den Skulpturen, am Material, aber auch an sich selber. Das ist unsere Louise auch. Bourgeois arbeitete wie wir stets von innen nach aussen. Sie forschte nach der Wahrheit. Dafür muss man eindringen, entfernen, aggressiv und schmutzig, aber auch intuitiv sein. Bei ihr war es der Stein, bei uns sind es die unmittelbaren Körper auf der Bühne. Ihre Skulpturen hatten für sie eine Magie, sie hatten die Kraft, die inneren und äusseren Dämonen zu bannen. Sie selbst nannte es Exorzismus. Fetzen und Szenen aus ihrer Lebensgeschichte wurden wie Tagesreste mal abstrakt, mal konkret in Kunstwerke übersetzt. Wurde eine ihrer Idee in der Umsetzung unheimlich oder gar eklig und abstossend, hielt sie dies aus. Verwandelte sich die Idee in Absurdität oder Humor, freute sie sich daran, als hätte sie dem Leben ein Schnippchen geschlagen. Diese Haltung teilen wir mit ihr.
SK Wie wichtig ist für Sie Humor?
MZ Ich komme vom Zirkus. Was mich am meisten geprägt hat, ist die Figur des Clowns. Denn wir sind alle Clowns. Wir sind alle tragikomische, skurrile Figuren mit Dämonen und dunklen, abstrakten und sonderbaren Gefühlen – aber genauso mit dieser unbändigen Lust, über das Absurde zu lachen, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen und in den chaotischsten Momenten die Welt zum Tanzen zu bringen. interessiert, was diese komplexe Figur den Künstlerinnen abverlangt. Damit etwas lustig erscheint, braucht es einen Rahmen, ein Setting. Und es braucht Rhythmus sowie eine punktgenaue Choreographie. Was auf der Bühne so leichtfüssig daherkommt, ist in Wahrheit harte Knochenarbeit. In der Herstellung solcher Situationen werden magische Momente möglich, in denen die menschliche Zerbrechlichkeit durchschimmert. Das Lachen kann uns am Ende vielleicht doch irgendwie retten.
SK Wie würden Sie Ihre Kunstform beschreiben?
MZ Wir machen ein «Théâtre d’objets et de personnages», kein Sprechtheater. Die Figuren sind sehr roh, aber extrem authentisch. Sie sind nahe an den echten Personen. Es geht nie um Imitation oder um Spiel. Es ist eine Kunstform, die nur in der gemeinschaftlichen Auseinandersetzung entstehen kann. Die Figuren brauchen einander – wie im echten Leben. Im Zentrum meiner Stücke steht der Mensch. Was mich letztlich motiviert, ist die Liebe zum Menschen und zum Theater.
SK Die Bühne nimmt eine zentrale Stellung in Ihrem Werk ein. Inwiefern?
MZ Meine Bühnenbilder sind Raumerfindungen, die ein Eigenleben besitzen. Die Bühnenelemente und einzelnen Objekte – wie Stühle, Tische, Türen oder Treppen – sind keine Kulissen, sondern eigenständige Protagonisten. Dabei werden alle zu gleichberechtigten Akteuren. In diesem Stück ist der Bühnenraum wie ein Labor, eine wissenschaftliche Werkstatt, ein Ort der Forschung und des Experiments. «Louise» ist eine bewegte Skulptur oder ein bewegtes Gedicht.
SK An wen richten sich Ihre Kreationen?
MZ An alle! Die Stücke behandeln Themen, die jeder und jede kennt. Dabei geht es mir nie um ein abschliessendes Urteil, ich habe keinen Anspruch auf richtig und falsch. Für mich muss Theater wie ein Kaleidoskop sein: Voller Doppelbödigkeit und Kippmomenten.
Credits
Konzept, Inszenierung, Choreografie: Martin Zimmermann
Kreiert mit und interpretiert von: Bérengère Bodin, Marianna de Sanctis, Rosalba Torres Guerrero, Methinee Wongtrakoon
Kreation Musik: Tobias Preisig
Dramaturgie: Sabine Geistlich
Bühnenbild: Simeon Meier, Martin Zimmermann
Künstlerische und Choreografische Mitarbeit: Romain Guion
Kostüme: Susanne Boner
Lichtdesign: Ueli Kappeler
Tondesign: Andy Neresheimer
Bühnenmeisterin: Doris Berger
Bühnenbild Bau: Schauspielhaus Zürich, Metallkonstruktiv Zürich
Kostümbearbeitung und Puppenbau: Schauspielhaus Zürich, Susanne Boner
Motorisation: Markus Binder
Ausstattungsassistenz: Noah Geistlich
Technik: Doris Berger, Franck Bourgoin, Jérôme Bueche, Ueli Kappeler, Lea Meierhofer, Andy Neresheimer, Jan Olieslagers
Produktionsleitung und Vertrieb: Alain Vuignier
Internationale Produzentin: Claire Béjanin
Technischer Leiter: Ueli Kappeler
Kommunikation: MZ Atelier
Fundraising: Manuela Schlumpf
Fotografie: Basil Stücheli
Video: Lukas Gähwiler
Produktion: MZ Atelier
Koproduktion: Schauspielhaus Zürich • Fabriktheater Rote Fabrik Zürich • Theater Winterthur • Theater Casino Zug | TMGZ • Les Théâtres de la Ville de Luxembourg • Théâtre de Carouge • Le Manège-scène nationale de Maubeuge • maisondelaculture de Bourges / Scène Nationale • Kurtheater Baden (in Bearbeitung)
Mit Unterstützung von: Ernst Göhner Stiftung • Fondation Jan Michalski • Landis & Gyr Stiftung
Dank: Tanzhaus Zürich • Theater Neumarkt • Darko Soolfrank
Endproben im Schauspielhaus Zürich – Schiffbau
Premiere: 30. November 2024, Schauspielhaus Zürich – Schiffbau
Martin Zimmermann/MZ Atelier wird unterstützt von Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich und Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung.
Martin Zimmermann ist Associated Artist am maisondelaculture de Bourges / Scène Nationale.
Tournee
2025
- Paris F 13.05 – 24.05 Rond Point – Paris
- Zug CH 07.05 – 08.05 Theater Casino Zug
- Nyon CH 01.05 – 02.05 Usine a gaz
- Chur CH 28.03 – 29.03 Theater Chur
- Aix-en-Provence F 30.01 – 31.01 Les Théâtres – Aix-en-Provence
2024
- Zürich CH 30.11 – 15.12 Schauspielhaus Zürich